Konflikte
oder
Wer erzieht eigentlich wen, und warum, und wozu?
Die Zeiten sind längst vorbei, in denen Eltern aufsässigen Schülern zu Hause eine Extraportion Erziehungshilfe verabreichten, wenn sie sich in der Schule daneben benahmen. Heute gibt es einklagbare Entschuldigungen, die den Spieß schlicht und einfach umdrehen: "Asozial" wird zu "verhaltensoriginell", "gewaltbereit" wird zu "sozial belastet", "lernunwillig" wird zu "hyperaktiv" usw. Nur gut, dass sich die übernehmenden Organe an solche Gesundbeterei auch halten: Personalbüros, Headhunter, Ausbildungsbetriebe, Universitäten o.ä. freuen sich über eine Klientel, die ihr Sozialverhalten an den Schulen von heute gelernt hat. Und mit den Eltern von heute.
Schulleiter vor Gericht: Nötigung

Mann hat Mädchen beim Rauchen auf der Toilette erwischt und ist handgreiflich geworden - Geldbuße

Von Carla Götz


Salzgitter. Es ist ein Vormittag im Januar, das vom niedersächsischen Kultusministerium verordnete absolute Rauchverbot an Schulen erst wenige Wochen alt. Der Leiter einer Salzgitteraner Schule sieht Rauch aus dem Fenster im ersten Stock quellen. Er stürmt die Mädchentoilette.

Als der Mann unvermittelt eintritt, schnippt eine 16-jährige Schülerin aus der 10. Klasse voll Angst ihre brennende Zigarette in den Schulhof. Sie leugnet standhaft, geraucht zu haben.

"Da habe ich sie an der Joppe gepackt, vor das geöffnete Fenster gezogen, und mich mit ihr nach unten gebeugt, um ihr die brennende Zigarette zu zeigen." Das sagt der Schulleiter gestern vor dem Amtsgericht Salzgitter. Die Staatsanwaltschaft hat ihn wegen Körperverletzung im Amt angeklagt. Er habe gebrüllt, ihr einen Schulverweis angedroht, schildert die inzwischen 17-jährige Auszubildende den weiteren Verlauf der Szene. Drei weitere Zeuginnen bestätigen dies.

Richter Rico Gille fragt: "Ist das Standard, dass Schülerinnen auf diese Weise angefasst werden?" Auch will er wissen, ob es nicht eher üblich sei, dass weibliche Lehrkräfte die Mädchentoilette kontrollieren? Der Schulleiter vertritt die Position, es komme allein auf das pädagogische Ziel an. "Sollen wir denn wegschauen, wenn Regeln verletzt werden?", fragt er zurück.

"Ich hatte Angst, ich könnte den Schulverweis wirklich kriegen", sagt das junge Mädchen unter Tränen. Der Schulleiter hat sie am Pullover gefasst, gegen die Fensterbank gedrückt. "Ich habe seine Fingerknochen im Brustkorb gespürt." Obwohl sie kein Attest für Verletzungen hatte, habe sie auf Wunsch ihrer Eltern den Mann anzeigen müssen. "Das war ein Scheißgefühl." Sie hatte Angst, dass sich ihre Schulleistungen danach verschlechtern würden. Was sie selbst denn lieber getan hätte, nach diesem Vorfall, will Richter Gille wissen. "Ich wäre zur Polizei gegangen, hätte gefragt, ob man etwas dagegen machen kann. Ich habe schon öfter gehört, dass er handgreiflich geworden ist", sagte sie.

Nachdem die Polizei ihm einen Anhörungsbogen geschickt hat und das Mädchen und ihre Freundin bei der Polizei ausgesagt haben, wurden sie zum Schulleiter gerufen. "Er hat mit einer Anzeige wegen Verleumdung gedroht", erinnert sich die Freundin. Auch sie habe weinend das Büro verlassen. Richter Gille erreicht, dass sich der Beklagte bei seinem Opfer entschuldigt. Staatsanwalt Frank im Sande: "Ich möchte meinem Kind keinen solchen Schulleiter angedeihen lassen, es gibt gewisse Regularien." Körperliche Kraftentfaltung sei auch im Hinblick auf pädagogische Ziele verwerfliche. Der Beklagte habe kein Unrechtsbewusstsein.

Das bescheinigt ihm auch Richter Gille. "Wenn man als kleines Mädchen von so einem großen Mann angefasst, gezogen, gedreht wird, dann ist das ein eindringliches Erlebnis", stellt er fest. Es habe zwar objektiv keine Verletzungen gegeben, doch vielleicht psychische. "Sie sollten wissen, dass man Kinder so nicht behandelt, auch wenn ihnen die Sicherungen durchbrennen."

Den Schulleiter verwarnt er mit 3000 Euro Geldauflage. Zudem bekommt er zwei Jahre Bewährung. Er muss jeden Wechsel von Wohnort und Aufenthalt melden. Wird er erneut gewalttätig, behält sich der Richter eine Geldstrafe vor.

Quelle: Salzgitter-Zeitung, 16.12.2005

Pisa-Simulation

Im Rahmen der Pisastudien bekamen Schüler ähnliche Texte zu Bearbeitung, und mussten nach der Durchsicht Fragen in der Art der folgenden beantworten. Ganz nebenbei: Nur Schummler scrollen vor der Beantwortung nach oben. Davon gibt es genug. Willkommen im Club!

  • Seit wie viel Wochen wusste die Schülerin, dass Rauchen auf dem Schulgelände verboten ist?
     
  • Warum erzeugt bei einer Schülerin der Anblick einer noch brennenden Zigarette Angst?
     
  • Mit welchem Lebensjahr endet gesetzlich die Kindheit?
     
  • Dürfen weibliche Lehrkräfte Jungentoiletten kontrollieren? Wenn ja, wie oft?
     
  • Was ist größer: Der Brustkorb, oder der Pullover?
     
  • Was ist für ein 16-jähriges Kind ein "Scheißgefühl"?
     
  • Wie fühlen sich Fingerknochen im Brustkorb an? Experimentiere mit dieser Erlebnisqualität und diskutiere sie mit Deiner Nachbarin. Mache dabei auch den sexistischen Sprachgebrauch deutlich, der mit dem männlichen Brustkorb und dem weiblichen Fingerknochen intendiert ist. Oder denke einfach ein wenig nach.
     
  • Warum weinen Mädchen, die trotz landesweitem Verbots auf der Mädchentoilette rauchen?
     
  • Was ist ein Attest, und warum brauchen Frauen / Mädchen / weibliche Kinder keines, um dennoch Anzeige erstatten zu können?
     
  • Warum verschlechtern sich Schulleistungen bei Mädchen? (Hier bitte keine sachlogischen Argumente und Begründungen  anführen, sondern überzeugende Ausreden und Schutzbehauptungen, bevorzugt solche, die dem anderen Geschlecht eine grundsätzliche Paarungsbereitschaft mit unerfahrenen, minderjährigen Schülerinnen unterstellen, die sich nicht beweisen lassen, die aber dessen ungeachtet wirksam und diffamierungsecht sind!).
     
  • Ist alles, was man selten hört, deswegen falsch?
     
  • Ist es normal, dass Schülerinnen, die trotz eines landesweiten Verbots in der Schule rauchen, zur Polizei gehen, weil sie etwas dagegen machen wollen?
     
  • Warum weinen auch Mädchen, die nicht geraucht haben?
     
  • Wie viele Kinder hat der Staatsanwalt, und auf welche Schule sollen sie nun endlich gehen?
     
  • Was macht ein Staatsanwalt wenn ihm die Freundin seiner minderjährigen Tochter mitteilt, dass der Schulleiter der von jener besuchten Anstalt sich zur Clique des Görs gestellt hat, dass sich verbittet, Kijd genannt zu werden, und um Feuer bat, da er seine fair bezahlten Welthölzer am vergangenen Wochenende im Coffeeshop in Amsterdam vergessen hatte.
     
  • Warum bekommt die inzwischen 17-jährige Schülerin keinen per Hand auszufüllenden Fragebogen geschickt?
     
  • Was ist ein "Unrechtsbewusstsein". Was kann man dagegen tun?
     
  • Warum heiraten große Frauen keine kleinen Männer?
     
  • Was ist der Unterschied zwischen "objektiv" und "vielleicht"? Benennen Sie Beispiele, die möglichst vehement zur Verunklärung dieser an sich schon schwierigen Kontradiktion in deutlich einseitiger Sicht beitragen. Benutzen sie dabei als Frau willfährige Männer, die ein verkorkstes Verhältnis zum Rächer der Enterbten haben. Als Mann sollten Sie sich jetzt hemmungslos betrinken. So gewinnen Sie immerhin eine kleine Auszeit.
     
  • Anfassen, ziehen, drehen verschafft ein eindringliches Erlebnis. Nie wieder werde ich als Mann einen Tanzkurs dulden. Zumindest dann nicht, wenn der männliche Dreher größer ist als die weiblich Gedrehte. Ne ne! Tango is schluss! Mädels, tanzt alleine!
     
  • Wo macht der Schulleiter Urlaub?
     
  • Wie kommen Juristen nach Salzgitter? Untersuche die Heimatverbundenheit einzelner Personen im persönlichen Gespräch. Mache deutlich, was Fernweh, Melancholie und Einsamkeit bei an sich vernunftbegabten Menschen bewirken können. Befrage sie nach eigenen schulischen Erfahrungen und Erfolgen: Haben sie eigene Kinder?
 

Lehrer werden für ihre Pflichten bestraft

Zum Artikel "Schulleiter vor Gericht" vom 16. Dezember 2005

"Leck mir die Eier, Alter!" Mit diesen Worten verabschiedete sich ein 14-jähriger Schüler, den ich kurz vorher des Schulgebäudes verwiesen hatte. Er ist nicht Schüler unserer Schule und schwänzte den Unterricht in seiner Schule. Es wäre einfacher für mich gewesen, den Schüler zu ignorieren.

Was hat das mit der Verurteilung des Salzgitteraner Schulleiters zu tun? Er hätte keinen Ärger bekommen, wenn er die Regelverletzung der Schülerin nicht zur Kenntnis genommen hätte, nur wäre er dann seinem Erziehungsauftrag nicht nachgekommen.

Dem Staatsanwalt und dem Richter möchte ich ein Praktikum an einer Hauptschule empfehlen, um zu erleben, was es bedeutet, vereinbarte Regeln durchzusetzen und bei Verstößen immer angemessen zu reagieren.

Meine fast dreißigjährige Erfahrung mit Schülern hat mich gelehrt, dass es Schüler gibt, die sich untereinander so gut wie alles "beeiden", sofern es gegen Lehrer geht. Auch das Verhalten der Eltern ist für mich schwer nachvollziehbar. Sie sollten mehr Verständnis und Solidarität mit der Schule zeigen, wenn es um die Erziehung ihrer Kinder geht. Sie sollten froh sein, wenn die Kollegen genau hinsehen - auch wenn dabei mal etwas schief gehen sollte.

Was läuft schief in einer Gesellschaft, in der ein Schulleiter bei der Wahrnehmung seiner Pflichten derart abgestraft wird?

Leserbrief von C.P., Lehrer am Gymnasium Salzgitter-Bad