Benehmen
oder
Momentaufnahmen ...

<<< zurück zur Übersicht

 


Schlechtes Benehmen: Vater versteigert Weihnachtsgeschenke für die Kinder bei eBay

Weil seine drei Söhne schlechtes Benehmen an den Tag legten, hat ein Vater in den USA zu drastischen Maßnahmen gegriffen. Er versteigerte die Spielkonsolen, die seine Söhne zu Weihnachten bekommen sollten, bei eBay.

Die neun- bis 15-jährigen Kinder waren vorher auf einer 'Familienkonferenz' ermahnt worden. Danach benahmen sich die Jungen auch für kurze Zeit besser. Am nächsten Tag kam das schlechte Benehmen allerdings wieder und der Verkauf der Geschenke wurde angedroht.

Der älteste Sohn forderte seinen Vater heraus, die Strafe in die Tat umzusetzen, was dieser dann auch tat. Die Mutter ist seitdem in Tränen aufgelöst.

Quelle: story.news.yahoo.com

Schlechtes Benehmen? Unter Umständen kein Reisemangel!

Urlauber in einem Ein-Sterne-Hotel müssen sich im Hotelrestaurant von Mitreisenden einiges gefallen lassen. Es stelle keinen Reisemangel dar, urteilte das Amtsgericht Hamburg (Aktenzeichen 9 C 23343/94), wenn Gäste in Badekleidung zum Essen erscheinen, Körpergeruch ausströmen und rülpsen.

Quelle: www.freenet.de

Kein Anspruch auf Stehpinkeln

Vor dem Amtsgericht Hannover verlangte ein Reisender vor Jahren 650 Mark vom Reiseveranstalter zurück, weil die Klobrille immer wieder heruntergefallen war. Der Kläger sei gezwungen gewesen, im Sitzen zu urinieren. Dies hätte seine Urlaubsfreuden erheblich geschmälert. Das Amtsgericht Hannover konnte dem nicht folgen und wies die Klage ab.

Quelle: www.freenet.de


Andere Länder, andere Sitten
Der gute Ton bei den Negern

"Um Mittag machen wir eine größere Rast auf einer Pflanzung [bei den Dan in Ostliberia und westliche Elfenbeinküste], weil die freundlichen Leute uns und die ganze Mannschaft zum Essen einladen. Sie haben nämlich nicht nur ihren schönen neuen Reis anzubieten, sondern dazu auch zwei in der vorigen Nacht erlegte Erdferkel.

Als wir um die Töpfe sitzen, kommt noch ein junger Bursche nach. Er kauert sich hin und greift so kräftig zu, dass man bald erkennt: so kann der Reis nicht für alle reichen. Die andern Esser werfen sich Blicke zu, und plötzlich schieben sie dem Burschen die noch halbvollen Schüsseln hin, erheben sich und entfernen sich rasch. Auf Tames Wink tue ich es ihnen nach. Da sitzt er nun, der allzu Gierige, und kann, wenn er will, das Mittagsmahl allein essen. Oh nein! Es ist ihm schrecklich peinlich, so dazusitzen inmitten all der Töpfe, während die Mädchen ab und zu gehen. Rasch räumt er alles weg, ergreift sein Buschmesser und eilt hinaus auf die Pflanzung, um dort durch doppelten Eifer anzuzeigen, dass es nur seine große Arbeitsleistung war, die ihn ausnahmsweise mal so unbescheiden gemacht hat.

So tadeln die Neger einander nicht, wie wir das so gerne tun, mit dröhnender Stimme. Benimmt sich einer nicht richtig, so suchen sie ihn in eine Lage hinein zu manövrieren, in der er sich schämen muss. Sie sind nämlich äußerst empfindlich gegen jede Herabwertung ihrer Persönlichkeit."

Quelle: Himmelheber, Hans (1908 - ): Der gute Ton bei den Negern. Heidelberg: Richters, ©1957. S.74f.

Singapur

Wegwerfen verboten! Strafe: 1.000 $

"Vier lange, schnelle Rolltreppen führen in der U-Bahn-Station Raffles City in die Tiefe. Der Einstieg ist von einem Mäuerchen aus dunkelrotem Marmor umfasst. Da saßen sie immer: Jugendliche, die auf Freunde warteten, nach der Schule klönten oder einfach die kühle Luft der exzellenten Klimaanlage im Untergrund genossen. Sie tranken nicht und rauchten nicht, aßen nicht, kauten kein Kaugummi, hörten keine Musik, fuhren nicht Skateboard, spuckten nicht, brachten keine Hunde, Katzen, nichts Lebendes mit. Denn all das ist verboten. Sie saßen nur da. Und nun ist auch das verboten.

Ein neues Schild kam zu den Abertausenden Schildern, die den Singapurern auf Schritt und Tritt sagen, was sie zu tun, und vor allem, was sie zu lassen haben. Die Schilder sind bewehrt mit zahllosen Augen uniformierter Staatsdiener, die prompt und unbestechlich das Gesetz exekutieren. Nun also ist Sitzen verboten und kostet -- Fine 500 Dollars -- 500 Mark Strafe.

Doch erstmals wirkte die Drohung nicht wie gewohnt. Swee Yin Wang sitzt trotzdem auf dem Mäuerchen. Beineschlenkernd unterhält sie sich mit ihren Freunden und wagt es, das neue Schild in ihrem Rücken «totalen Quatsch» zu nennen. Obwohl sie ein Foto von sich in der staatstragenden Zeitung Straits Times riskiert. Sünder gegen die öffentliche Ordnung werden in Singapur stets mit Namen, Adresse und Bild veröffentlicht. Aber diesmal erlaubt sich Swee, die blau gewandete Exekutive mit hoch erhobenen Händen zu fragen: «Warum kann ich hier nicht sitzen?»

Weil die Regierung meint, gammelnde Jugendliche seien ein «Schandfleck». Dieses Argument wurde später ersetzt durch das der Fürsorge des Staates, mit der er seine Bürger vorm Fallen bewahre. «Das Sitzen auf dem Mäuerchen ist gefährlich» schrieb die U-Bahn-Behörde in der Zeitung. Und weil Swee Yin Wang und Konsorten das nicht einsehen, «muß nun eben die Strafe her». Swees vager Teenagerprotest auf dem Mäuerchen in der U-Bahn-Station Raffles City sorgte tagelang für Schlagzeilen in der Presse und schließlich für eine im staatlichen Fernsehen übertragene Parlamentsdebatte.
So handelt die absolute Autorität einer konfuzianischen Regierung, die immer weiß, was gut für ihre Bürger ist. Nach diesem Muster hat sie 2,7 Millionen Menschen programmiert, die aus der winzigen Insel einen wirtschaftlichen Riesen formten."

Quelle:
Deckenbach, Karin: Das Diktat der Saubermänner. -- In: Singapur & Malaysia. -- (Geo Special ; Nr. 5/1992). -- ISBN 3570010799. -- S.38 - 40


Benehmen an deutschen Schulen: Besteht Handlungsbedarf ?
Kraftausdrücke verboten

RÜDIGER GRAMSCH

Desinteressierte und unfreundliche Schüler ohne Manieren? An der Kaufmännischen Schule in Göppingen ist schwarz auf weiß geregelt, wie sich die Jugendlichen im Unterricht zu verhalten haben. Schulleitung, Schüler und Ausbilder schließen darüber eine Vereinbarung.

GÖPPINGEN Was seit der Forderung des saarländischen Bildungsministers nach Benimm-Unterricht landauf, landab diskutiert wird, ist an der Kaufmännischen Schule in Göppingen schon seit einem Jahr Realität. Dort ging die Schulleitung sogar noch einen Schritt weiter. Sie lässt sich von den Schülern schriftlich bestätigen, dass sie sich im Unterricht und an der Schule gut benehmen.

Die regelmäßige und pünktliche Teilnahme am Unterricht gehört zu den obersten Pflichten der Schüler, wenn diese den Kontrakt mit der Schule schließen. Die engagierte Beteiligung am Unterrichtsverlauf, die tägliche Erledigung der Hausaufgaben und eine gründliche Vorbereitung auf Klassenarbeiten wird ebenfalls erwartet. Mogeln ist verpönt. Ein freundliches Verhalten gegenüber Lehrern, Mitschülern, Schulleiter und Hausmeistern wird verlangt. Verbale Entgleisungen oder die Androhung von Gewalt sind in der Kaufmännischen Schule untersagt. Auf die Einhaltung der Hausordnung hat der Schüler ebenso zu achten wie auf den schonenden Umgang mit Gebäuden, Einrichtungen, Lernmitteln und Geräten.

Wer den Unterricht an der kaufmännischen Schule in Göppingen besuchen will, muss die Regeln einhalten, machte Schulleiter Werner Stepanek deutlich. Wer dagegen verstößt, riskiert den Rauswurf und möglicherweise dann auch seinen Ausbildungsplatz. Denn der Vertrag wird nicht nur von Schulleitung und Schüler unterschrieben, sondern auch vom Ausbilder.

Quelle: NWZ vom 20. September 2003, Göppinger Kreisnachrichten

Wirtschaft für Benimm-Unterricht

Die deutsche Wirtschaft hat Forderungen nach einem Benimm-Unterricht für Schüler begrüßt. "Die Unternehmen stehen bereits seit geraumer Zeit vor dem Problem, dass den Schulabgängern oft die Kenntnis der einfachsten Regeln des Zusammenlebens fehlt", sagte der Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), Dieter Hundt, der "Berliner Zeitung". Aus Sicht der Betriebe sei es höchste Zeit, dass etwas gegen den Erziehungsnotstand unternommen und die Vermittlung von Werten in den Unterricht aufgenommen werde.

Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) bewertete die entsprechende Initiative des Saarlandes positiv. DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben beklagte in der selben Zeitung fehlende Reife und mangelndes soziales Verhalten der Lehrstellenbewerber. Die Schule sei in diesem Zusammenhang aber nur ein Teilaspekt: "Auch die Eltern sind in der Pflicht: Sie müssen ihren Kindern wieder Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Ehrlichkeit und Teamfähigkeit beibringen." Es könne nicht alles der Schule überlassen werden. […]

Hundt betonte, die viel gescholtenen Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit seien unabdingbar für den Umgang miteinander. Ausbilder in Betrieben stellten nicht selten mit Erschrecken fest, dass junge Leute bei ihnen oft zum ersten Mal mit Regeln und Werten in Kontakt kämen. "Niemand kann bestreiten, dass hier schon im Vorfeld etwas massiv schief läuft", sagte Hundt. Besonders wichtig sei die Wiedereinführung einer überarbeiteten Form der Kopfnote. "Wir brauchen Kopfnoten mit modernen Bewertungsmaßstäben", sagte Hundt. Dafür könne die in Betrieben übliche Mitarbeiterbeurteilung als Vorbild dienen.

(aus: www.stern.de, Meldung vom 30. August 2003, http://www.stern.de/id/campus-karriere/schule/512282.html )

Bundesbürger für Benimmunterricht an Schulen

Köln (dpa) - Die meisten Bundesbürger sind nach einer Umfrage für die Einführung von Benimm-Unterricht an den Schulen. Im Auftrag des ARD Morgenmagazins hat das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap 550 Bundesbürger zu Benimmunterricht an Schulen gefragt.

Danach wären 77 Prozent der Befragten damit einverstanden, wenn Schulen gutes Benehmen, Höflichkeit und Ordnung als Unterrichtsfach vermitteln, 20 Prozent halten diese Lehrinhalte für nicht notwendig. Saarlands Bildungsminister Jürgen Schreier (CDU) hatte vor kurzem angekündigt, mit einem bundesweit bislang beispiellosen Benimmunterricht an Schulen seines Landes "das Ende der Unhöflichkeit" einzuleiten. Noten soll es dafür aber nicht geben.

(aus: Lübecker Nachrichten, 29.08.2003, http://www.ln-online.de/news/archiv/print.php?id=1209376, 18.9.03)

Gewerkschaft gegen Benimm-Unterricht
GEW lehnt saarländisches Bildungsmodell ab

Berlin - Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Eva-Marie Stange, hält nichts von Benimm-Kursen für Schüler. Die Vermittlung von Werten und einem respektvollen Umgang untereinander sei eine "originäre Aufgabe der Schule", für die es "keiner gesonderten Fächer bedürfe", sagte die GEW-Chefin. Stange erteilte damit dem saarländischen Kultusminister Jürgen Schreier (CDU) eine deutliche Absage. Schreier hatte Mitte der Woche angekündigt, im kommenden Schuljahr eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die so genannte "Benimm-Bausteine" für den Schulunterricht in den Klassen eins bis sechs entwickeln soll. Ziel sei es, die Sozialkompetenz der Kinder zu verbessern.

(aus: Welt am Sonntag, 24.08.03)

Projekt Benimmunterricht
"Das Ende der Unhöflichkeit - Wir fangen schon mal an"
Bildungsminister Jürgen Schreier (Saarland)

Im Saarland wird es künftig Unterrichtsmaterialien für das richtige Verhalten von Schülern im Unterricht geben. [...] Kultusminister Jürgen Schreier: "Es ist an der Zeit, dass das Ende der Unhöflichkeit eingeläutet wird. Die Erziehung zu einem zivilisierten Miteinander ist ein gemeinsamer Auftrag von Elternhaus und Schule. Ein neues Grundverständnis für den Nächsten kann nur im Schulterschluss geleistet werden."
Schreier forderte die Eltern auf, den Lehrern dabei den Rücken zu stärken und im Interesse der Kinder mit ihnen an einem Strang zu ziehen. Mangelnde Disziplin und der Verlust von Respekt hätten zu einer drastischen Verschlechterung des Lernklimas an den Schulen geführt, das so viele Lehrkräfte an ihrem Beruf verzweifeln lässt.

Klare Regeln und deren konsequente Einhaltung seien notwendig zum Aufbau von Sozialkompetenz, aber auch wichtige Voraussetzung für erfolgreichen Unterricht. Zeit, die der Lehrer darauf verschwenden müsse, um Unterricht überhaupt erst möglich zu machen, sei verlorene Lernzeit, die vor allem zu Lasten der schwächeren Schüler gehe.

Im späteren Berufsleben, so Schreier weiter, werde erwartet, dass die Jugendlichen nicht nur gute Fachkenntnisse hätten, sondern auch die Spielregeln eines zivilisierten Miteinanders beherrschten. Elternhaus und Schule würden ihren Erziehungsauftrag verfehlen, wenn sie die jungen Menschen hierauf nicht rechtzeitig vorbereiteten. Es bedürfe daher eines allseits akzeptierten Grundbestandes an unverzichtbaren Regeln. Schule bilde den "Proberaum", in dem die junge Generation die Spielregeln des zivilisierten Miteinanders einüben müsse. Dazu gehöre es insbesondere, einen Wertedialog in der Schule zu eröffnen. Als Begründung nannte Schreier, dass es dringend einer Rehabilitation der Werte bedürfe. Dazu gehöre auch die Wiederentdeckung der Form im Umgang mit anderen. Denn die Art, wie man miteinander umgehe, zeige auch, ob jemand Achtung vor seinem Mitmenschen hat.

In der Kommission sitzen u. a. erfahrene Lehrer, Schulleiter und Erzieher, Vertreter der Schüler, Eltern, der Wirtschaft sowie ein Experte für Mediation und Prävention und die Protokollchefin der saarländischen Landesregierung. Ihre Hauptaufgabe wird es sein, in den nächsten Monaten Unterrichtsbausteine zu erarbeiten.

Bausteine sind dabei unter anderem "Miteinander reden", "Miteinander umgehen", "Mein und Dein", "Verhalten in der Öffentlichkeit" sowie "Vereinbarungen für den Umgang in der Schule". Die Bausteine werden zunächst für die Grundschule erarbeitet und für die Eingangsklassen der weiterführenden Schulen. Darüber hinaus ist ein Unterrichtsbaustein "Übergang ins Berufsleben" für die Klassenstufe 9 geplant.
[...]

Quelle:

Saarland: Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft
Pressemeldung vom 09.09.2003

 

Benehmen auch im Unterricht?
Peter Struck

Der Pisa-Schock saß: Erziehung und Bildung gerieten ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. [...]
Reformvorschläge gibt es zuhauf: Jetzt lebt die Diskussion um Schuluniformen wieder auf; der Bremer Schulsenator wünscht sich die bauchfrei-freie Schule; [...] Dazu passt auch der Vorstoß des saarländischen Kultusministers, Jürgen Schreier, eine Kommission einzusetzen, um ein Curriculum Benimm-Bausteine für Schulen entwickeln zu lassen. [...]
Das Problem fängt jedoch bereits damit an, dass Betragen und Benehmen Begriffe sind, die gar nicht mehr in unsere Zeit passen. Sie wecken Befürchtungen, hier könne etwa bloß Äußerliches im Sinne von taktisch geschicktem Angepasstsein, von Schauspielerei oder gar Opportunismus gemeint sein. Und deshalb legt Jürgen Schreier auch nach, indem er seine Benimm-Bausteine als Elemente auf dem Weg zu einem „zivilisierten Umgang“ beschreibt. Deren Bestandteile sind: Höflichkeit, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit, aber nicht Tapferkeit, die der griechische Philosoph Platon in seinen Tugendkatalog aufnahm, auch nicht Solidarität und Kritikfähigkeit, die schon vor 28 Jahren von der Hamburger Bürgerschaft als Allgemeines Lernziel gestrichen wurde. Soziales Verhalten – das wäre der zeitgemäße Begriff – ist seit 1949 ein Gebot für unser demokratisches Zusammenleben.
Leserbriefschreiber haben Recht, die auf "ungezogene" Schüler verweisen, die einer alten behinderten Dame keinen Platz im vollbesetzten Bus anbieten, und die zu bedenken geben, dass Knigge-unkundige junge Menschen Bewerbungsnachteile bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz haben. In renommierten deutschen Hotels werden schon seit Jahren teure Benimm-Kurse für Kinder angeboten, die von ehrgeizigen Eltern genutzt werden, damit ihr Nachwuchs Startvorteile hat. Höflichkeit überzeugt; sie kann aber auch eine Waffe in einer Ellenbogen-Gesellschaft sein, und die ist allemal besser als die wirkliche Waffe, die angeblich jeder dritte Jugendliche zur Wahrung seiner Interessen mit in die Bremer Schulen bringt.
Seit Jahren fordern Politiker bundesweit eine Werteerziehung, nur sagen sie nie, wie die umzusetzen ist. Werte von oben herab auf junge Menschen rieseln zu lassen, ist die Art und Weise, wie Obrigkeitsstaaten ihre Untertanen erziehen. Aber Werteerziehung mit unserem Grundgesetz muss bedeuten, jungen Menschen dabei zu helfen, selbst angemessene Werteentscheidungen treffen zu können. Das geht nur, wenn man ihnen viele Bewertungs- und Verhaltensalternativen zur Verfügung stellt, wenn Gleichaltrige unerwünschtes Verhalten verpönen sowie erwünschtes belobigen, eintrainieren und verstärken. Vor allem muss das dezent geschehen – weil sonst mit pubertärem Protest das Gegenteil erreicht wird –, und zwar durch Vorbilder, zu denen Eltern, Lehrer und auch Politiker gehören, und durch die Gestaltung von Takt, Stil, Ton, Ästhetik und Atmosphäre, wie es seit Jahren in Norwegen passiert: Schon in der Ausbildung üben Lehrer dort viele verschiedene Arten ein, „bitte“ und „danke“ zu sagen, sowie Schüler morgens zu begrüßen und nachmittags zu verabschieden. Schüler lernen, was die skandinavischen Schulen so stark macht:
Zunächst muss der Lehrer dem Schüler Respekt entgegenbringen, weil er dann in der Folge auch Respekt zurückerhält, und nicht umgekehrt. [...]
Werteerziehung in einer Demokratie braucht die Zustimmung des jungen Menschen, und das erfordert eine aufwändige Überzeugungsarbeit. Sie muss vor allem im Elternhaus stattfinden, weshalb auch das Erziehungsgebot diesen Auftrag dem Elternhaus in Artikel 6 unseres Grundgesetzes zuweist. Wenn wir dennoch feststellen müssen, dass mittlerweile etwa 60 Prozent der deutschen Eltern erzieherisch mehr oder weniger hilflos sind oder sogar Angst vor der Erziehung ihrer Kinder haben, sollte die Schule den Eltern mehr bei der Erziehung helfen, als dass sie diesen Auftrag selbst zu übernehmen gedenkt.
Wir brauchen also neben den bisherigen Lehrerstudiengängen, die insbesondere auf ein Fachlehrerdasein vorbereiten, dringend ein Klassenlehrerstudium, damit wir auch Lehrer haben, die in der Lage sind, mit einer auf Eltern zugehenden Pädagogik, die man in Schleswig-Holstein „Elternschaft lernen“ nennt, Müttern und Vätern über Hausbesuche, Elternstammtische oder Elternabende bei der Erziehung zu helfen. Denn die Schule ist die einzige Lebenswelt unserer Gesellschaft, die noch sämtliche junge Menschen bewusst erzieherisch zu erreichen vermag, weil wir eine Schulpflicht haben. Da die Schule aber nicht der alleinige Reparaturbetrieb unserer Gesellschaft sein kann, müssen die Lehrer den Schulterschluss mit den Eltern in Sachen Erziehung suchen.


*Peter Struck ist Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg und schrieb zuletzt das Buch „Schule macht Spaß“.

(aus: SZ,. 12.09.2003, gekürzt)

BENIMMUNTERRICHT - PRO UND CONTRA

Aus: Die Rheinpfalz, Ludwigshafener Rundschau, Nr. 216, Mittwoch, 17. September 2003, Xxpress

PRO BENIMM-UNTERRICHT
(Von Patrick Kullmann)

Pünktlichkeit, Achtung vor dem Nächsten, Ausreden lassen, Auftreten, Sauberkeit und ordentliches Grüßen sind nur einige Umgangsformen, an denen es bei vielen Kindern und Jugendlichen derzeit hapert. Das fand unter anderem auch der saarländische Bildungsminister Jürgen Schreier von der CDU und beschloss, Benimmunterricht auf den Stundenplan zu setzen. Was bei der "Grünen Jugend Saar" auf Ablehnung stieß und als "Steinzeitpädagogik" verschrien wurde, fand bei 77 Prozent der Bundesbürger positive Resonanz (Infratest dimap befragte 550 Personen).

Warum auch nicht? Vor allem in der Schule sollten doch diejenigen ein Recht auf effektiven Unterricht haben, die sich vernünftig und richtig benehmen können. Die Gegenwart sieht jedoch erschreckend anders aus: Der allgemeine Umgangston unter den Schülern ist mittlerweile rüde und ruppig, Kraftausdrücke gehören zur Tagesordnung. Viele Lehrer vermissen bei den Schülern Respekt und Tugenden wie Höflichkeit, Gehorsam, Ordnung und Pflichtbewusstsein.

Doch woher dieser Werteverfall? Die Lehrer in den 50er Jahren hatten mit solchen Problemen noch nicht zu kämpfen, auf Etikette und Benimm wurde noch besonderen Wert gelegt. Als Grundlage diente die von Freiherr Adolph von Knigge 1788 verfasste Benimm-Lektüre, auch "Knigge" genannt. Der Siegeszug der Moralapostel nahm aber 1968 ein jähes Ende. Statt Knigge las man nun Marx und Mao. Es galt, die bürgerlichen Vorschriften zu brechen, "Freiheit" hieß das Stichwort.

Doch sind auf dem Weg zu mehr Freiheit nicht auch Werte auf der Strecke geblieben, die gerade in der Kindererziehung nötig sind? Es geht ja nicht gleich um Manieren mit Diener und Knicks. Jedoch: Auch die Eltern sind in der Pflicht. Sie müssen ihren Kindern wieder Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Ehrlichkeit und Teamfähigkeit beibringen. Es kann nicht alles der Schule überlassen werden.

Vor dem selben Problem stehen seit geraumer Zeit auch die Unternehmen. Schulabgängern fehle oft einfach die Kenntnis der einfachsten Regeln des Zusammenlebens. Ausbilder in Betrieben stellen nicht selten mit Erschrecken fest, dass junge Leute bei ihnen oft zum ersten Mal mit Regeln und Werten in Kontakt kommen. Da ist das Nummernziehen auf dem Arbeitsamt vorprogrammiert.

KONTRA BENIMM-UNTERRICHT
(Von Anja Schuster)

Früher, immer wenn Opa oder Oma Geburtstag hatten, hieß es schon im Auto: "Denk daran, höflich guten Tag zu sagen, die Hand zu geben und zu gratulieren." Ja Mama. Beim Kaffeetrinken die nächsten Anweisungen: "Iss den Kuchen mit der Gabel, leg den Löffel auf den Teller, Ellenbogen gehören nicht auf den Tisch..." Ich tat wie mir geheißen. Alle anderen machten es schließlich auch so. Eltern haben Vorbildfunktion. Großeltern auch. Vielleicht noch die älteren Geschwister. Aber Lehrer? Weniger. Sie stehen zwar als Autoritäts-Personen vor den Fünftklässlern, werden aber schon von jungen Schülern kaum mehr mit Respekt behandelt. Und da sollen sie Werte vermitteln, (manchen) Rotzlöffeln Respekt und Ordnung in einer separaten Unterrichtseinheit beibringen, an Höflichkeit appellieren.

Diese Idee schlägt fehl, sobald sie auf dem Stundenplan steht. Für die Erziehung von Kindern sind Lehrer nicht zuständig. Sie sollen nicht vermitteln, dass Füße nicht auf den Wohnzimmertisch gehören, oder dass man nicht in der Nase bohrt. Lehrer sind dafür da, Matheformeln, deutsche Rechtschreibung, Geschichtsdaten und Englischvokabeln in den Köpfen der Schüler zu verankern. Das sollte im Unterricht oberste Priorität besitzen - die Ergebnisse der Pisa-Studie zeigen, wie wichtig das ist.

Disziplin und gutes Benehmen lernt man nicht von heute auf morgen. Das fordert Zeit, nicht nur in den 45 Minuten, die eine Benimm-Stunde dauert, sondern immer. Dann, wenn es die Situation erfordert, sollten Eltern an Disziplin und Anstand appellieren. Sie selbst geben dafür das beste Beispiel - über Jahre hinweg. Wird das versäumt, ist es zu spät. Ein Jahr Benimm-Unterricht macht dann keine schlechte Erziehung wett. Moralische Werte können die Lehrer den Steppkes zwar zum Auswendiglernen eintrichtern, aber ob das den gewünschten Erfolg außerhalb des Klassenraumes bringen ist fraglich. Wer schon in der fünften Klasse das Repertoire an Schimpfwörtern drauf hat, löscht das nicht mit der ersten Benimm-Stunde aus seinem Kopf. Für wen zehn Jahre lang Fleiß und Pflichtbewusstsein Fremdwörter waren, der weiß sie nicht auf einmal anzuwenden, nur weil sie plötzlich an der Tafel stehen. Die guten Ratschläge kommen in diesem Alter zu spät - erst recht, wenn sich Ober-Lehrer mit erhobenem Zeigefinger vor die Klasse stellen.

Weitere Reaktionen:

"Wenn Kultusminister Schreier wirklich glaubt, er könne unerwünschtes Verhalten der Schülerinnen und Schüler durch Frontalunterricht einüben lassen, dass ist das reinste Steinzeitpädagogik. Uns ist eine freche, kritische und aufmüpfige Jugend lieber als eine dumpfe, angepasste und abgestumpfte Jugend, wie wir sie aus früheren Zeiten unserer Geschichte kennen."
(Christian Klein, Landesvorsitzender der Grünen Jugend Saar)

"Lehrer, Schüler und Eltern sollten sich an jeder Schule gemeinsam auf eine Art Ehrenkodex verständigen und von allen unterschreiben lassen. In einem solchen Vertrag könnte zum Beispiel stehen, dass Schüler ihre Lehrer am Morgen grüßen und dass man seine Mitschüler nicht beleidigt. (...) Erziehung ist in erster Linie Aufgabe der Eltern. Es bringt nichts, wenn an den Schulen wie auf einer Insel Benimm gelehrt wird, während zu Hause andere Regeln gelten. Die Schule ist ein Abbild der Gesellschaft, und Erziehungsdefizite sind ein gesellschaftliches Problem."
(Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung in Nordrhein-Westfalen.)

 

"Auch die Eltern sind in der Pflicht: Sie müssen ihren Kindern wieder Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Ehrlichkeit und Teamfähigkeit beibringen. Es kann nicht alles der Schule überlassen werden."
(Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskemmertages.)

"Die Schule trägt eine Verantwortung. Wir haben ja in der Folge von 1968 so ziemlich alles ausgeschüttet, was mit Riten oder Formen zu tun hatte, weil wir fanden, dass diese ein substanzloses Eigenleben führten. Die Folge ist aber, dass wir jetzt eine formlose Substanzlosigkeit haben. (...) Ich habe ein bisschen Zweifel, ob es ein gesondertes Fach sein muss, oder ob wir das Ganze nicht zu einem Prinzip von Unterricht generell machen müssen. Wenn die Lehrer es schaffen würden - egal in welchem Fach -, das Benehmen, Distanzhalten, den Respekt gegenüber anderen durchzusetzen, dann bräuchte man ein solches Fach nicht."
(Dieter Lenzen, Erziehungswissenschaftler an der FU Berlin, in einem Interview der "Berliner Zeitung".)

Links:

 

 

Meinung
Benimmunterricht im Fernsehen
Von Katharina Rutschky

14. September 2003 Mit der neuen Mode der Bauchfreiheit, die in diesem langen und heißen Sommer von jüngeren Frauen, ob dick oder dünn, begeistert aufgenommen wurde, hat es vermutlich angefangen. Man, oder soll man sagen, manche Männer in verantwortungsvollen Positionen, nahmen ernsthaften Anstoß am entblößten Nabel und gefährlich tief sitzenden Hosen, die auch hintenherum weibliche Rundungen offenherzig darboten.

Der erste, der diese Mode zum Anlass nahm, nun endlich einmal über die geziemende Schulkleidung öffentlich zu räsonieren, war der Bremer Schulsenator Willi Lemke von der SPD. Was am Strand oder in der Disco als sexy Outfit vielleicht angebracht ist, kann in der Schule nicht akzeptiert werden, sagte er. Nach dem desolaten Abschneiden deutscher Fünfzehnjähriger bei der Pisa-Studie - Bremen hat besonders schlecht abgeschnitten - gilt es jetzt endlich, sich auf den Ernst der Schulaufgabe zurückzubesinnen. Gleich konterten Schüler- und Elternverbände Lemkes Vorstoß mit einer ästhetischen Kritik an der Lehrerschaft. In Latschen und Schlabberpullis liefert sie nämlich oft genug auch nicht das Vorbild für einen ordentlich bekleideten Nachwuchs. Der saarländische Bildungsminister Jürgen Schreier von der CDU erweiterte die Debatte noch einmal. Verstöße gegen die Kleiderordnung seien bloß die Spitze des Eisbergs. Seine bedrohliche Masse liege darunter und heißt Verfall der guten Schulsitten. Ohne das ominöse Datum zu nennen, drückte sich Minister Schreier deutlich genug aus. Seit 1968 seien Autorität und Respekt, Ordnung und Disziplin im Namen einer schrankenlosen Selbstverwirklichung als so genannte Sekundärtugenden des deutschen Untertans verteufelt worden. Das soziale Klima an den Schulen und die Unterrichtsbedingungen seien deshalb fast so schlecht wie die Pisa-Ergebnisse.

Gutes Benehmen als leitendes Prinzip

Höchste Zeit also, über handsames Benehmen der Schüler zu reden. Geredet wird natürlich, wie immer wenn es um Benimm geht, eher über schlechtes Benehmen und wie ihm von denen beizukommen wäre, die Verantwortung tragen und naturgemäß wissen, was gutes Benehmen heute ist.

In Bremen beginnt eine Schule gerade damit, Fünftklässlern in einer wöchentlichen Unterrichtsstunde dieses beizubringen. Im Vordergrund soll aber nicht die korrekte Kleiderordnung stehen - man will die Elfjährigen vor allem im gescheiten, zivilen Umgang mit Konflikten trainieren. Im Saarland hat man Experten damit beauftragt, so genannte Benimmbausteine zu entwickeln, die dann von der ersten bis zur sechsten Klasse in den Unterricht aller Schulfächer einbezogen werden sollen: gutes Benehmen als leitendes Prinzip im Unterricht.

Deplatziert wie Schlagsahne auf Buttercreme

Aus Bayern kommentierte Kultusministerin Monika Hohlmeier von der CSU die ganze Debatte und die geplanten Maßnahmen recht schadenfroh. Hat Bayern bei Pisa nicht deshalb noch halbwegs gut abgeschnitten, weil die Ideen der Achtundsechziger sich hier nie durchsetzen konnten? Erziehung und Disziplin, die andere heute neu entdecken müssen, werden und wurden hier immer hochgehalten. Da nimmt man eine niedrige Abiturientenquote und den einen oder anderen Konflikt zwischen Schülern und Lehrern, der anderswo Anlass zu Grundsatzdebatten gegeben hätte, schon in Kauf. Benimm 2003 für Schüler - kein Thema. In Bayern versteht er sich angeblich immer noch von selbst.

Das Projekt eines Benimmunterrichts in der Schule kommt aber auch sonst nicht gut weg. Es ist richtig, darauf hinzuweisen, dass die öffentliche, allgemeinbildende Schule schon an sich ein Ort der Zivilisierung junger, unwissender Barbaren zu sein beansprucht und ein spezieller Benimmunterricht einem so deplaziert vorkommen kann wie Schlagsahne auf einer Buttercremetorte. Skepsis ist auch deshalb angebracht, weil nicht zuletzt eine besonders engagierte Lehrergeneration die engen Grenzen der Aufklärung - worüber auch immer - im Rahmen der öffentlichen Schule erfahren hat. Der Deutschunterricht produziert bekanntlich wenig Literaturfans, der Religions- oder Sozialkundeunterricht enttäuschend wenig Fromme, Kirchgänger oder engagierte Demokraten. Was kann man sich dann von einem Benimmunterricht versprechen, der jetzt sogar ohne jede Stütze auf Kulturgüter, Traditionen und eingelebte politische Realitäten auskommen müsste?

Erziehungsfragen wecken Ressentiments

Ehe man das schief und schlecht angelegte Projekt abtut, vielleicht gar der Lächerlichkeit aussetzt, die nie fern ist, wenn es um Pädagogik, gar Schulpädagogik geht, sollte man innehalten. Angeblich sind ja Erziehungsfragen solche, die uns alle angehen und aufrühren - eigentlich wecken sie aber jederzeit bei allen bloß Ressentiments , die das hundertjährige Geburtstagskind Adorno öfter trefflich beschrieben hat. Wie progressiv Erziehung nämlich auch daherkommen mag, wir alle behalten von ihr dennoch das lebenslange Gefühl der Erniedrigung und Demütigung zurück, das uns für die Verachtung der pädagogischen Sphäre, ihrer Protagonisten und Institutionen auf eine manchmal unvernünftige Art anfällig macht.

Diese Gefühlslage macht doppelt dumm, wenn es um das gute Benehmen geht, das jeder unter Einbußen des natürlichen Größenwahns und des damit verbundenen kindlichen Exhibitionismus selbst unter günstigen Sozialisiationsbedingungen hat lernen müssen. Die gute Gesellschaft, zu der man schließlich gehört, hält gutes Benehmen für selbstverständlich, eine Sache, über die nur Aufsteiger sich Sorgen machen und reden. Man weiß, dass Benimmbücher nur von denen gekauft werden, die es nötig haben, sich über etwas zu informieren, das ihnen selbst Natur geworden ist, wenngleich mit Schmerzen. Benehmen hat man - über fehlendes lässt sich endlos lamentieren, aber zu lehren ist es als gutes nicht. Benimmlehre in der Schule? Lächerlich.

Falsche Zielgruppe

Anders als die Bildungsminister ihn bisher entworfen haben, könnte man der Idee eines Benimmunterrichts in der Schule eine Menge abgewinnen. Allerdings gälte es vorher eine Menge von Wenns abzuarbeiten. Wenn der Benimmunterricht nur dazu herhalten soll, einer altmodischen autoritären Disziplin Vorschub zu leisten, dann kann er keinen Erfolg haben. Wenn man Schülern gutes Benehmen als Einschränkung, nicht als Erweiterung ihrer persönlichen Handlungsmöglichkeiten, womöglich gar als moralische Pflicht auferlegen will, dann gute Nacht. Da könnten die Entwickler der "Benimmbausteine" dann doch beim Freiherrn Knigge Nachhilfeunterricht nehmen und lernen, wie viel der kluge "Umgang mit Menschen" (1788) gerade dem nützt, der ihn against all odds praktiziert. Dass die heraufziehende Dienstleistungsgesellschaft einen materiellen Anreiz für alle die liefert, gutes Benehmen zu lernen, die es bisher entbehren konnten, darauf haben andere schon hingewiesen.

Wie wenig die Verfechter eines Benimmunterrichts in der Schule up to date sind, erkennt man vor allem an der Altersgruppe, die sie im Auge haben. Vielleicht sind sie von der Idee der Prävention benebelt, die unsere vorsichtige Vorsorgegesellschaft auch sonst umtreibt. Die Schüler der Grundschule sind aber immer noch notorisch brav und als Adressaten gänzlich ungeeignet. Eine Herausforderung stellen dagegen die Pubertierenden im Schulalter danach dar. Sie wären aber auch die willigen und aufgeschlossenen Lehrlinge des Benimmtrainings, jene nämlich, die man bislang nur diskriminiert hat als Fetischisten der Markenklamotten.

Vorabendserien als Vorbild

Will sich die Gesellschaft, wollen sich hier Pädagogen nutzbringend einmischen, dann müssen sie begreifen, dass gutes Benehmen heute nicht mehr als Verteilung eines teuren Guts stattfinden kann, über das manche verfügen, die anderen nicht. Als moralische Pflicht ist es schon gar nicht unter die Leute zu bringen. Gutes Benehmen hat mit Stil, mit Ästhetik, mit der öffentlichen Inszenierung eines Individuums zu tun, dem an Anerkennung und an Erfolg gelegen ist. Und sind das in einer egalitären, demokratischen und zivilen Gesellschaft nicht eigentlich alle?

Die Schule müsste bei einem modernen Benimmunterricht einmal mehr über ihren Schatten springen und fürs Leben, nicht für die Noten lehren lernen. Sie könnte sich dabei vom Erfolg der Vorabendserien im Fernsehen inspirieren lassen. Dort werden die Schüler bisher nämlich im Umgang mit Konflikten, Kommunikations- und Selbstdarstellungsproblemen besser geschult als in der Schule. Die Frage nach dem, wer man ist und werden will, treibt Jugendliche heute um, krasser und schmerzlich wahrnehmbarer auch für uns Erwachsene, als es die alte Entwicklungspsychologie je beschrieben hat. Werte und Normen zu predigen, die der Institution Schule zupass kommen und uns Älteren lieb sind, das wird den schulischen Benimmunterricht nicht zu einer Erfolgsstory machen.

Ich selbst kann der Bauchfreiheit junger Frauen in vielen Einzelfällen übrigens ästhetisch soviel abgewinnen wie den männlichen Shortsträgern. Also sehr wenig. Was mich nicht davon abhält, gutes Benehmen für eine elementare Kulturtechnik zu halten wie Lesen und Schreiben und auf ihre Lehrbarkeit zu hoffen - selbst in der Schule.

Die Autorin ist Publizistin und lebt in Berlin.

Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 14.09.2003, Nr. 37 / Seite 13

 


"Schlechtes Benehmen halten die Leute doch nur deswegen für eine Art Vorrecht, weil keiner ihnen aufs Maul haut." (Klaus Kinski)
»Es gibt unendlich viele Arten, des Benehmens, welche lächerlich erscheinen und deren verborgene Gründe doch sehr klug und fest sind.« (Françoise de La Rochefoucauld, französischer Schriftsteller)
»Jede Generation ist von neuem davon überzeugt, dass sich die Manieren gewaltig verschlechtert hätten.« (American Heritage)
»Wenn sich die Gäste wie zu Hause fühlen, benehmen sie sich leider auch so.« (Danny Kaye, amerikanischer Schauspieler)
»Aufrichtigkeit ist der Gipfel guter Manieren.« (George Bernard Shaw, irischer Schriftsteller)
»Manieren sind wie die Null beim Rechnen: Für sich allein sind sie nicht viel, aber sie erhöhen der Wert aller Dinge.« (Norman Mailer)
"Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer."  (Sokrates, 470 - 399 v. Chr.)
"Im Urlaub muss man sich immer fragen: Muss ich mich benehmen oder waren hier schon deutsche Touristen?"  (Harald Schmidt)
"Jedes Nachdenken über gutes oder schlechtes Benehmen zeugt von einem Stillstand der geistigen Entwicklung." (Oscar Wilde)
"Gute Manieren sind das Öl im Getriebe zwischenmenschlicher Beziehungen." (Lin Yutang)
   

Asfa-Wossen Asserate ist ein äthiopischer Prinz, der sich Gedanken macht um das Benehmen der Deutschen. Seit mehreren Jahren lebt er in Deutschland. Und seine Fremdheit ist es, die ihn so scharf auf unsere Finger blicken lässt. Was findet er hässlich?

»Fremden Leuten ins Gesicht fassen.
Das Fernsehen laufen lassen, wenn Besucher den Raum betreten.
Rotweingläser zu voll schenken.
Über sein Gewicht sprechen.
In der Brusttasche ein Taschentuch aus demselben Stoff wie die
Krawatte tragen.
Sich wundern.
Medizinische Ratschläge geben: Wussten Sie nicht, dass so viel Salz
gesundheitsschädlich ist?
Sich im Theater mit dem Rücken zu den Sitzenden durch die
Stuhlreihe zwängen.
Mit nacktem Oberkörper am Esstisch sitzen.
Fremde Leute beim Abendessen fragen: Glauben Sie an Gott?«

Asfa-Wossen Asserate
Manieren
Verlag: Eichborn
Frankfurt 2003
Seitenanzahl: 392
ISBN: 3821847395
Preis: 22,90 Euro
Wen stört’s? Was passiert schon, wenn man sich nicht an ungeschriebene Gesetze hält, von denen sowieso niemand weiß, woher sie kommen? Eigentlich nichts. Aber es hat keinen Stil. Und Stil zu haben ist wieder en vogue - in und auch außerhalb der Geschäftswelt. Die Etikette gewinnt an Bedeutung zurück: Wir wollen wieder souverän sein in Sachen Manieren - wir wollen wissen, wie man sich als Gentlemen benimmt.
Der promovierte Prinz ist ein feinfühliger und gleichzeitig scharfsichtiger Beobachter. In seinen „Manieren“ führt er uns Deutschen vor Augen, worauf unser Anstand wurzelt. Und zwar nicht in der Rolle des strengen Hauslehrers – ein zweiter Knigge will Asserate nicht sein. Er sieht sich vielmehr in der Rolle des Forschers, der versucht den gegenwärtigen Status Quo vor dem Hintergrund einer Jahrhunderte andauernden Tradition zu beleuchten. Die gesellschaftlichen Zusammenhänge sind ihm wichtiger als das tumbe Proklamieren präskriptiver Regeln.
„Manieren“ ist ein wichtiges Buch für alle, die mehr kennen lernen wollen als den reinen Gesetzestext für gutes Benehmen. Dazu ist es wunderbar flüssig zu lesen, so dass man sich jederzeit gut unterhalten fühlt. Wer genug hat von Tischgesprächen über Körpergewicht oder richtige Ernährung, der sollte sich „Manieren“ zulegen. Denn hier wird wirklich interessanter Gesprächsstoff geboten.

"Nonchalance macht die Sache erst erträglich"

Interview der Zeitschrift "solitaire" mit dem Entertainer Götz Alsmann

 

"solitaire": Herr Alsmann, Sie stehen für ein gepflegtes Äußeres, Manieren und Stilsicherheit. Sind Sie ein Gentleman der alten Schule?

Götz Alsmann: Nein, das würde ich auf keinen Fall sagen. Was den Gentleman der alten Schule auszeichnete, war, dass er nicht gearbeitet hat. Früher war es ja so, dass diese Menschen ererbte Landgüter hatten oder dass sie sich auf Indienfeldzügen dergestalt hervorgetan haben, dass sie mit einer sorgfältig abgewogenen Pension ausgestattet waren und insofern nicht mehr arbeiten mussten. Ein typisches Beispiel ist aus "Reise um die Erde in 80 Tagen" Phileas Fogg, der keiner Arbeit nachgeht, keiner weiß, was er tut. Der Gentleman der alten Schule hat auf jeden Fall eine andere Bedeutung erfahren. Was ihn auszeichnete, war, dass er tanzen kann.

"solitaire": Sie haben die Hörfassung dieses Romans nun auf CD gesprochen. Was faszinierte Sie am meisten daran?

Götz Alsmann: Das ist ja eine neue Übersetzung. Ich finde, dass Jules Verne ein gnadenlos unterschätzter Autor ist, der erfolgreichste Romancier aller Zeiten. Er hat 30 Jahre lang, jedes Jahr drei Bücher veröffentlicht. Das kann natürlich dann nicht alles nur spitze sein. Will man Jules Verne nach seinen schlechtesten Büchern beurteilen, das wäre so, als würde man die Beatles nach "Yellow Submarine" beurteilen, was man ja auch nicht tut. Er war, wie ich finde, auch ein sehr guter Satiriker. Und ich finde die "Reise um die Erde in 80 Tagen" ist eine wunderbare Satire auf die Arroganz des britischen Gentleman und eine durchaus auch zutreffende Beschreibung selbstzufriedenen imperialistischen Gehabes. Von den Franzosen gerne als Häme über die Engländer ausgeschüttet, natürlich nicht ganz ohne Neid.

"solitaire": Auf dieser CD sind auch acht Musikstücke von Ihnen, bei zwei davon wirkt Ihr Sohn mit. Inwiefern ist diese Zusammenarbeit ein Weg, Ihrem Sohn Ideale und Wertvorstellungen zu vermitteln?

Götz Alsmann: Ich habe ihm meine Band gezeigt und ihm gesagt: "Junge, all das soll mal Dir gehören."

"solitaire": Und das findet er auch gut?

Götz Alsmann (lacht): Ich weiß es nicht. Klar, Erziehung ist Einflussnahme. Und was für mich von Anfang an wichtig war, ist, dass ein Kind lernt, auf einen Menschen zuzugehen, ihm die Hand auszustrecken und guten Tag zu sagen, es muss keinen Diener machen, aber es soll anständig guten Tag sagen. Ich finde, das ist etwas, das schon seit Jahrzehnten total verloren geht. Dieses Rumgedruckse. Ich glaube, dass das Leben für Kinder auch leichter ist, wenn sie lernen, offen auf jemanden zuzugehen.

"solitaire": Haben Sie eigentlich jemals den "Knigge" gelesen?

Götz Alsmann: Nein. Witzigerweise, bin ich so erzogen worden, dass mir viele traditionelle Dinge in Fleisch und Blut übergegangen sind.

"solitaire": Halten Sie denn überhaupt etwas davon sich an diese Schriftwerke, sei es jetzt Knigge oder sonstiges zu halten?

Götz Alsmann: Es darf vor allem nicht verkrampft und steif daherkommen. Ich denke schon, dass ein bisschen Nonchalance die Sache überhaupt erst erträglich macht. Das ist ja kein Korsett, das ist bestenfalls ein Stützkorsett, das einem helfen soll. Diese Techniken des Umgangs miteinander, die sollen einem ja eigentlich den Umgang erleichtern.

 


Quelle:

http://www.solitaire-magazin.de/magazin/
heft_2_2002/news_trends/alsmann.html