Frauen als Wissenschaftlerinnen?
oder
Wen haben Sie heute schon beleidigt?

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Anders denken heißt nicht anders sein

Frauen taugen nicht als Naturwissenschaftler, behauptet der Präsident der Harvard-Universität. Was weiß man über das Verhältnis von Gehirn und Geschlecht wirklich? Schon im Mutterleib entwickeln sich die Hirne von Jungen und Mädchen verschieden. Bloß: Was heißt das?

Von Eva von Schaper

Cambridge/Massachusetts. Über das, was genau Larry Summers vor zwei Wochen gesagt hat, kursieren mehrere Versionen. Die Kurzfassung der am häufigsten zitierten lautet: Der Präsident der Elite-Uni Harvard hatte auf einer Fachtagung behauptet, eine Frau habe rein biologisch nicht das Zeug zur Naturwissenschaftlerin. Das zeige sich schon an den konstant schwächeren Ergebnissen amerikanischer Schülerinnen im Mathematikunterricht. Die Biologie sei also schuld an der geringen Anzahl an Mathematikerinnen, Naturwissenschaftlerinnen und Ingenieurinnen. Zudem seien Frauen nicht bereit, so viel Zeit in eine wissenschaftliche Karriere zu investieren wie Männer, eine 80-Stunden-Woche muteten sich nicht viele zu.

Das waren Töne, die man in Harvard nicht gewohnt ist. Die ersten Wissenschaftlerinnen verließen schon während des Vortrags den Saal. Mehrere Harvard-Absolventinnen strichen spontan Spenden an ihre Alma mater. Die heftigen Reaktionen ließen fast vergessen, dass die Konferenz eigentlich zu dem Zweck veranstaltet worden war, die Benachteiligung von Frauen in den Naturwissenschaften zu untersuchen.

Zur Entschuldigung hieß es daraufhin, Summers, der in seiner Zeit als amerikanischer Finanzminister von Bill Clinton schon mal mit den Worten "Na, wen haben Sie denn heute schon beleidigt?" begrüßt wurde, mache eben nur seinem Ruf als Rüpel alle Ehre. In Wahrheit wolle er eine wissenschaftliche Diskussion entfachen. Von einem "pseudofeministischen Schauprozess" schrieb der politische Kolumnist des Online-Magazins Slate, William Saletan. Robert Matthews legte im britischen Sunday Telegraph noch eins drauf: "Frauen können zwar keine Gleichungen lösen, Autos rückwärts fahren oder Bälle werfen, aber sie können sehr gut einen hysterischen Anfall haben."

Der Mitschnitt des exakten Wortlautes von der Konferenz bleibt einstweilen unter Verschluss. Summers hat sich inzwischen entschuldigt; das Ganze sei ein Missverständnis. Die Frage, die er aufgeworfen hat, hängt allerdings trotzdem in der Luft. Wie hält es die Natur denn nun mit den Gehirnen der Frauen?

Forscher haben Unterschiede zwischen den Geschlechtern seit Jahrzehnten aus verschiedenen Blickwinkeln studiert. Sie haben Hirnen beim Wachsen zugeschaut, sie haben Gehirnaktivitäten in Bildern und Filmen festgehalten, sie haben Schulnoten gesammelt und Gene dechiffriert. Ja, lautet die Antwort, Frauen haben andere Gehirne als Männer. Bedeutet "anders" aber gleichzeitig auch "schlechter geeignet, um Karriere in den Naturwissenschaften zu machen"?

Welche Unterschiede zwischen den Geschlechtern angeboren sind, ist im groben bekannt. Frauen tragen unter 23 Chromosomen-Paaren ein XX-Chromosomen-Paar, Männer hingegen ein XY-Paar. Lange Zeit dachte man, das Y-Chromosom bestimme allein das Geschlecht und sonst wenig. Dann aber fand David Page vom Whitehead Institute bislang unbekannte Gene auf dem Y-Chromosom. Der Unterschied zwischen den menschlichen Geschlechtern sei größer als der zwischen den menschlichen Rassen, umschrieb Page vor zwei Jahren seine Forschungsergebnisse. Ein männlicher Affe sei einem Mann genetisch ähnlicher als eine Frau, und umgekehrt.
Ob dies jedoch zu angeborenen Unterschieden bei mathematischen Leistungen führt, ist längst nicht gesagt. "Wir wissen insgesamt wenig über die mögliche Rolle der Gene, die sich auf dem Y-Chromosom befinden", sagt der Genetiker Steve Rozen, der zusammen mit Page geforscht hat. Möglicherweise beeinflusse eine noch unbekannte Genfunktion das Gehirn, aber vermutlich ließen sich Unterschiede eher auf das Hormon Testosteron zurückführen.

Testosteron lässt Männer größer und schwerer werden, schenkt ihnen Glatzen, macht sie aggressiver und verändert die Hirnstruktur schon im Mutterleib. Die im Durchschnitt schwereren Männer haben, absolut gesehen, zehn Prozent mehr Gehirnmasse. Weibliche Gehirne sind kleiner, enthalten aber prozentual mehr graue Hirnsubstanz, die aus Neuronen besteht. Bei Männern überwiegt dagegen prozentual die weiße Masse, die zum größeren Teil aus den Verbindungen zwischen den Neuronen besteht. Jedoch haben Richard Haier und seine Kollegen von der University of California in Irvine vor kurzem herausgefunden, dass die Männer und die Frauen ihre Gehirne auch verschieden einsetzen, selbst wenn sie denselben Intelligenzquotienten besitzen. Männer, fanden sie heraus, als sie ihre Probanden in ein spezielles Kernspin-Gerät schoben, ließen beim Problemlösen eher die graue Gehirnmasse arbeiten, während bei Frauen die weiße Materie aktiver war. Männerhirne bemühen für Intelligenzleistungen demnach mehr die Rechenzentren im Gehirn, Frauen dagegen das Netzwerk dazwischen.

Das Sexualhormon Testosteron ist vermutlich auch dafür verantwortlich, dass sich räumliches Denken und sprachliche Fähigkeiten unterschiedlich auf beide Geschlechter verteilten. Die Psychologin Nora Newcombe von der Temple University in Philadelphia beobachtet schon bei kleinen Kindern Unterschiede in ihrem Vermögen, spezifische Aufgaben zu lösen. Jungen schneiden beim räumlichen Denken generell besser ab, insbesondere dann, wenn sie Aufgaben lösen, bei denen sie Objekte drehen oder manipulieren müssen. Den Mädchen in Newcombes Labor gelingt es dagegen besser, sprachliche Aufgaben zu lösen.

"Es ist egal, ob man diese Unterschiede nun der Biologie oder der Soziologie zuschreibt", sagt Newcombe. Wichtig sei vielmehr, dass sich Rückstände in der Fähigkeit, räumlich-rotationell zu denken, aufholen lassen. Dies verkleinert den absoluten Abstand zwischen den Geschlechtern zwar nicht, hilft den Frauen aber, eine bestimmte Schwelle zu überschreiten. "Man muss nur ausreichend gut räumlich denken können, um beispielsweise Chemieprofessorin zu werden", erläutert Newcombe. Oberhalb dieser Schwelle sei diese Fähigkeit nicht mehr der limitierende Faktor. So seien Studenten mit einem Intelligenzquotienten von 140 auch nicht erfolgreicher als solche, die einen IQ von 130 erreichen. "Sie sind alle schlau genug, um Erfolg zu haben, es zählen dann eher Dinge wie Fleiß, Glück und die Frage, in wie viele unnötige Auseinandersetzungen man sich verwickeln lässt", sagt Newcombe.

Geschlechtsspezifische Unterschiede haben demnach keinen Einfluss auf die gemessene Gesamtintelligenz eines Menschen. Junge amerikanische Männer lösen die Mathematikaufgaben in den zentralen, standardisierten College-Zulassungsprüfungen, den sogenannten SATs, dennoch leichter. Darauf bezog sich auch Larry Summers: Zweimal so viele Männer wie Frauen kämen dabei unter die besten fünf Prozent. Was er vergaß, hinzuzufügen: Am unteren Ende der Skala finden sich ebenfalls wesentlich mehr Männer als Frauen. Wenn es also mehr mathematisch hochbegabte Männer gibt als ebensolche Frauen, dann auch mehr männliche Mathe-Nieten als weibliche. In den Sprachprüfungen schneiden die Geschlechter dagegen in etwa gleich ab. Die Natur, kommentiert der Psychologe Steven Pinker, der Summers bei der Vorbereitung seines Vortrages half, müsse bei Jungen eben größere Risiken eingehen, da sie potentiell mehr Nachkommen zeugen können als Frauen. Für den Fall, dass eine Population einmal stark dezimiert wird und sich anschließend aus sich heraus regeneriert, ist eine größere genetische Diversität der Männer vorteilhaft, da es dann zu weniger Inzuchtschäden kommt.

Ob sich diese Diversität der intellektuellen Leistungsfähigkeit bei Männern aber aus den SAT-Daten tatsächlich belegen lässt, ist durchaus noch nicht klar. Gerade solche monotonen "multiple choice"-Prüfungen würden den Fähigkeiten vieler Schülerinnen nicht gerecht, sagt Marcia Linn von der University of California in Berkeley. Vergleichsdaten aus Großbritannien und Australien zeigten, dass Schülerinnen im allgemeinen besser abschneiden, wenn sie ausführlicher antworten können. "Der SAT sagt eine zu gute Leistung für die männlichen Studenten voraus und eine zu schlechte für die weiblichen", sagt Linn. Wenn man jene Noten miteinander vergleiche, die amerikanische Teenager in der Schule erzielen, und nicht die SAT-Punktzahl, dann seien Frauen und Männer etwa gleich gut. Obendrein seien die Ergebnisse von Land zu Land verschieden: Junge Isländerinnen und Japanerinnen schnitten in Matheprüfungen sogar besser ab als ihre männlichen Mitschüler.

Kimberlee Shaumann von der University of California in Davis hat mit ihrem Kollegen Yu Xie von der University of Wisconsin die Karrieren einiger Naturwissenschaftlerinnen untersucht. "Women in Science: Career Processes and Outcomes" heißt ihr Buch, dem auch Larry Summers einen Teil seiner Weisheit entnommen hat. Doch nicht alles, was der Ökonom Summers verkündete, stand im Einklang mit Shaumanns Forschung. "Ich hatte den Eindruck, der Mann hat sich schlecht informiert", sagt Shaumann, die an der Harvard-Konferenz teilnahm. Denn nicht alle erfolgreichen männlichen Wissenschaftler gehörten zu den zitierten Top-fünf-Prozent-Prüflingen. "Männer, deren Noten nur im oberen Drittel lagen, sind noch erfolgreichere Forscher geworden", sagt Shaumann.

Auch ihr Kollege Yu Xie stimmt nicht mit Summers überein: "Wenn es einen biologischen Unterschied gibt, dann spielt die Umgebung sicherlich auch eine Rolle", sagt Xie. In den Familien asiatischer Studenten beispielsweise, die in den Vereinigten Staaten als Vorzeigeminderheit gelten, sei die Einstellung der Eltern eine entscheidende Komponente für den Erfolg der Kinder, gibt er zu bedenken. Komme ein asiatisches Kind mit einer schlechten Mathenote nach Hause, hieße es nicht, das Kind sei unbegabt. Sondern es müsse eben einfach mehr lernen.

Quelle:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung,
30.01.2005, Nr. 4 / Seite 61